Feuerprobe by Peter Zeindler

Feuerprobe by Peter Zeindler

Autor:Peter Zeindler [Zeindler, Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3442413184
Herausgeber: Goldmann Verlag, ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann
veröffentlicht: 1993-10-13T22:00:00+00:00


28

»Kennen Sie den Mann?« flüsterte mein Banknachbar.

»Welchen Mann?« fragte ich verwirrt.

»Waffler, den Steuerberater!«

»Warum sollte ich!«

»Warum sind Sie denn hierhergekommen? Sie sind doch von drüben. Das sieht doch jeder!«

Ich warf ihm einen schnellen Blick zu.

»Und Sie sind von hier, weil Sie sich wie einer von hüben kleiden?« fragte ich zurück.

Er drehte überrascht den Kopf. Rolf klopfte mit seinem Bleistift ungeduldig auf den Rand des Pults. Unser Flüstern hatte ihn gestört. Er machte einen überraschenden Schritt zur Seite. Er hatte mich entdeckt. Aber er ließ es sich nicht anmerken. Leicht ins Profil gedreht, redete er weiter, zählte die Möglichkeiten auf, mit denen das Finanzamt auf legale Weise bekämpft werden kann, erwähnte die möglichen Abzüge, die Summen, die man von der Steuer absetzen kann. Die Leute schrieben eifrig mit. Jetzt endlich hatte er ihnen die Nahrung vorgeworfen, derentwegen sie gekommen waren. Aber er wußte, daß all das, was er anfangs gesagt hatte, tief saß. Widerhaken im Fleisch seiner Zuhörer.

Der Mann war ein Verführer, immun gegen alle Argumente, die auftauchen könnten. Aber er war so überzeugend, daß er gar keine Gegenargumente zu erwarten hatte. Er verfügte über alle Register. Er verkaufte seine Tricks in Sachen Steuer so emotionslos, wie er mir damals die Kunst der Observation beigebracht hatte. Er war es gewesen, der mir gezeigt hatte, wie man eine verdächtige Person regelrecht »lesen« kann.

»Jeder Mensch hat ein Erscheinungsbild. Und es gibt beinahe keinen Menschen, bei dem dieses Erscheinungsbild einen harmonischen Eindruck vermittelt. Immer läuft da irgend etwas asynchron. Und diese kleine Asynchronität gilt es zu orten. Es ist die Achillesferse, die jeder Mensch hat. Dort packst du ihn! Die Individuen, mit denen wir es in unserem Beruf zu tun haben, sind schwer zu durchschauen, weil sie sich unter einer angenommenen Maske bewegen. Ein guter Spion lebt seine Maske so, daß seine eigentliche Herkunft sich ihr anpaßt. Er ist nur noch Maske. Die höchste Stufe der Spionagetätigkeit ist die totale Verschmelzung von Maske und Gesicht. Aber das können nur wenige!«

Rolf hatte sich eine Maske gesucht, die ihm Überleben zu garantieren schien. Für mich aber war er zu einem fernen Stück Kunst geworden, hatte sich gleichsam im Körper des Dogen Leonardo Loredan eingenistet, und ich vermochte einfach nicht, diese kleine Asynchronität zu entdecken, die ihn verletzbar gemacht hätte. Er war eine sakrosankte Erscheinung, der verlängerte Arm meines Vaters über dessen Grab hinaus. Und ich lebte als Kopie eines Toten weiter.

Ich bringe ihn um. Dieser Gedanke tat mir gut.

Die Leute klatschten. Rolf nickte befriedigt. Aber die Reaktion des Publikums berührte ihn nicht wirklich. Und wenn ich auch deutlich spürte, daß Rolf einen Steuerberater nur spielte, so tat er dies überzeugend, so widerspruchslos, daß ich umsonst nach Schwachstellen suchte.

»Sehr hilfreich«, sagte der Mann in der Wolljacke neben mir. Ich zuckte die Achseln, stand auf und drängte zusammen mit den andern Zuhörern zum Ausgang.

»Haben Leute von drüben solche Informationen nötig?« Ich spürte seine Hand auf meiner Schulter.

»Auch wir drüben haben Informationen nötig, Herr Waffler!«

»Man soll das Steuer nicht aus der Hand geben!«

Ich schaute ihn erstaunt an.

»Die Steuer! Das ist



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